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30.11.2022

Das ethisch Zumutbare ausloten

Als Leiterin der klinischen Ethik am Kantonsspital Baselland (KSBL) hilft Tatjana Weidmann-Hügle in schwierigen Situationen die bestmögliche Lösung zu finden.

Als Tatjana Weidmann-Hügle Biochemie studierte, war für sie die Ethik noch kein konkreter Berufswunsch. Nach dem Studium arbeitete sie in der klinischen Forschung der Transplantationsimmunologie und erlebte dabei schwer kranke Menschen, die eine belastende Therapie durchmachten und diese nicht immer überlebten. «Da habe ich mich zum ersten Mal gefragt, wo die Grenze des ethisch Zumutbaren ist.» Mit dem Wunsch, ins Ausland zu gehen, entschied sie sich für einen Studiengang in Philosophie mit Schwerpunkt Medizinethik an der University of Tennessee in Knoxville. Zurück in der Schweiz wurde sie Mutter von zwei Kindern und begann sich gleichzeitig auf dem Gebiet der klinischen Ethik zu etablieren. «Dabei habe ich immer in Teilzeit gearbeitet und hatte daneben weitere Engagements in der Lehre und Forschung. Meine Arbeit war nie ein Nine-to-five-Job und erfordert viel Flexibilität. Als die Kinder klein waren, empfand ich die zahlreichen Aktivitäten zeitweise als anstrengend. Glücklicherweise hatte ich Unterstützung aus meinem familiären Umfeld.» Ihre Hauptaufgaben am KSBL, wo sie seit bald zehn Jahren tätig ist, umfassen nebst Fortbildungen für alle Berufsgruppen im Spital auch ethische Fallbesprechungen sowie Angehörigengespräche, bei denen oft für eine Person, die es selber nicht mehr kann, eine Entscheidung getroffen werden muss. «Dabei geht es nicht immer um Leben oder Tod, sondern beispielsweise um die Frage, welche Wohnsituation angemessen ist, wenn es zu Hause schwierig wird. Das ist eine Abwägung zwischen Selbstbestimmung und den Risiken, denen sich jemand aussetzt.»

«ETHIK IST EIN RAUM VON ENTSCHLEUNIGUNG, EIN GEFÄSS, UM ZU REFLEKTIEREN.»

Räume für Ethik schaffen

Für Tatjana Weidmann-Hügle, die nebenher als Lehrbeauftragte an der Universität Zürich und in der Forschung tätig ist, geht es in der Ethik nicht nur um hochschwellige Dilemmas. Ethik hat auch immer mit mikro-ethischen Momenten in der Begegnung mit Menschen zu tun. «Wie betrete ich beispielsweise ein Patientenzimmer, oder welche Worte wähle ich, wenn ich eine schlechte Nachricht überbringen muss? Das sind Momente, die von unserer persönlichen Haltung geprägt sind.» Die klinische Ethikerin hat mit Situationen zu tun, die mit Unsicherheiten und Konflikten behaftet oder für die Betroffenen existenziell sein können. Dabei gebe es Situationen, die ihr nahe gingen. «Ich bin ein Mensch, der Probleme ausknobeln muss. So kann ich sie besser loslassen. » Eine weitere Herausforderung sei der Zeitdruck im durchgetakteten Spitalalltag – denn für Gespräche müsse man sich Zeitfenster schaffen. «Ethik ist ein Raum von Entschleunigung, ein Gefäss, um zu reflektieren: Was machen wir, wie machen wir es, und wie können wir es gut oder besser machen?»  

Kantonsspital Baselland
Klinische Ethik
www.ksbl.ch/ethik


Der Beitrag ist im Magazin BaslerIN, Ausgabe Winter 2022 erschienen.

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