Retter auf vier Rädern
Der Arbeitstag von Serge Schärer beginnt kurz vor 7.00 morgens. Der Rettungssanitäter in Ausbildung startet seine 12-Stunden- Schicht mit dem Morgenrapport und einem Fahrzeugcheck. An diesem Dienstag dauert es nicht lange, bis die Alarmierungsapp sich meldet. Dabei erfährt er, dass eine ältere Person im Oberbaselbiet auf dem Eis ausgerutscht ist. An der Unfallstelle angekommen, sieht Schärer rasch, dass es sich nicht um eine kritische Situation handelt. Er begleitet die Seniorin zu Fuss in den Rettungswagen, versorgt die Wunden im Gesicht, überprüft ihre Vitalwerte und bringt sie zur Kontrolle und Versorgung ins Spital. Nach diesem Einsatz lässt der nächste nicht lange auf sich warten, denn eine Patientin mit Nierensteinen muss für die weitere Behandlung vom Bruderholzspital nach Liestal transportiert werden. Und dann wird es hektisch: kurz vor Mittag kommt ein sogenannter P1- Alarm ohne weitere Angaben rein. Bei dieser Alarm-Stufe ist ein sofortiger Einsatz mit Sondersignal gefordert. «Wenn die Zentrale so kurz disponiert, merkt man, dass etwas im Busch ist, dann pressiert’s meistens.» Im Auto erfährt das Rettungs-Team, dass es sich um eine Reanimation in einem Lebensmittelgeschäft handelt. Im Laden treffen sie auf einen auf dem Boden liegenden älteren Mann. Das Verkaufspersonal hatte bereits mit der Reanimation begonnen. «In solchen Fällen muss man die Situation rasch unter Kontrolle bekommen, dafür gibt es einen klaren Algorithmus. Das üben wir in der Ausbildung immer wieder.» Schärer leitet die Reanimation, auch als der Notarzt eintrifft, sodass dieser sich ein Bild davon machen kann, was passiert ist.
Er spricht mit der Ehefrau über die Behandlungswünsche und das Vorgehen. In solch hektischen Situationen ist Schärer froh um die Polizei, die sich um die Frau kümmert und ein Careteam für die Laden-Mitarbeitenden organisiert. Nach Einsätzen wie diesem findet immer eine Nachbesprechung im Team statt. «Dabei fragen wir uns, was wir gut gemacht haben und was wir hätten verbessern können. Selbst wenn beim Einsatz alles rund läuft, geht es darum, aus einem guten Resultat ein noch besseres zu machen.» An diesem Tag hat Schärer das Glück, in Ruhe Mittagessen zu können, bevor er zu einem Kind mit Fieberkrampf gerufen wird. Das wirke immer sehr dramatisch, bei ihrem Eintreffen ist das Kind aber wieder wach und ansprechbar. Auf seinem letzten Einsatz dieser Schicht geht es um eine Corona-Verlegung in ein anderes Spital. «Das passiert, wenn die Spitäler voll sind und man die Auslastung gleichmässig verteilen möchte.» So ein Einsatz sei immer mit grossem Aufwand verbunden. «Ich muss spezielle Schutzkleidung anziehen und nach dem Transport das Auto reinigen und mit einem speziellen Verneblungsgerät desinfizieren. Es dauert fast eine Stunde, bis das Auto wieder einsatzfähig ist.»
«Man ist auf sich alleine gestellt und muss in kurzer Zeit und mit sehr wenig sehr viel machen.»
Serge Schärer, Rettungssanitäter HF in Ausbildung am Kantonsspital Baselland
Viel Verantwortung
Meist gelingt es Schärer, nach der Schicht rasch abzuschalten. «Natürlich gibt es Dinge, die einen noch beschäftigen. Ich lasse dem auch etwas Raum. Wenn es am nächsten Tag nochmals hochkommt, hole ich mir Unterstützung im Team. Ich werde grossartig unterstützt – das ist ein schönes Gefühl. » Als Ansprechpersonen stehen auch sogenannte Peers mit psychologischer Zusatzausbildung zur Verfügung. Schärer kann sich zudem an die Seelsorger, die Ärztin bzw. den Arzt oder die Psychologin bzw. Psychologen wenden. Auf diesen Beruf kam Schärer, als er bei der freiwilligen Feuerwehr und beim Militär im Rettungsdienst diente. «Ich bin einer, der gerne mit Menschen arbeitet», bringt es der ehemalige Schreiner auf den Punkt. Als Quereinsteiger dauert seine Ausbildung zum Rettungssanitäter drei Jahre. Von Beginn an war er im Einsatz, nach einem halben Jahr bereits als vollwertiges Besatzungsmitglied. Besonders gut gefällt ihm, dass er Verantwortung übernehmen kann und viele Kompetenzen zugeteilt bekommt. «Man ist im Team auf sich alleine gestellt und muss in kurzer Zeit und mit sehr wenig sehr viel machen. Dafür muss ich die Lage rasch einschätzen können.» Ein heikles Thema sei dabei die Ethik, denn es kommt vor, dass die Wertvorstellungen von Patientinnen und Patienten, Angehörigen, Rettungsteam und Gesetz in Konflikt zueinander stehen. Als Rettungssanitäter wolle man das Beste für die verletzte oder kranke Person tun. Möchte diese aber keine Behandlung, komme man unter Umständen in die Zwickmühle. «Es ist schwer, immer allen gerecht zu werden. Wir müssen alles abwägen: was ist gewünscht, weshalb sind wir da und was ist unsere gesetzliche Verpflichtung?» Schärer hat soeben seine Diplomarbeit über dieses Thema geschrieben.
Im Notfall: 144 (Ambulanz)
Bei einem Anruf auf eine Notrufnummer
bitte folgendes nennen:
• Wer spricht?
• Was ist passiert?
• Wo ist es passiert?
Kantonsspital Baselland
Der Rettungsdienst des KSBL ist nach den Qualitätskriterien des Interverband fürs Rettungswesen (IVR) zertifiziert und von der Schweizerischen Gesellschaft für Notfallund Rettungsmedizin (SGNOR) anerkannte Weiterbildungsstätte für Notärztinnen und Notärzte.
Dieser Beitrag ist im Magazin Regio aktuell, Ausgabe Februar 2022 erschienen.